Der größte Ziegenbock der Kinderbuchgeschichte

Mac Barnett und Jon Klassen sind befreundet, haben bereits viele Bilderbücher zusammen gemacht, gemeinsam und jeder für sich allerlei Preise eingeheimst und Bestseller gelandet. Jetzt haben sie sich erneut zusammengetan für
Drei Ziegenböcke namens Zack, das erste einer neuen Sammlung gegen den Strich gebürsteter Märchen. Das amerikanische Branchenblatt »Publishers Weekly« bat Mac Barnett und Jon Klassen, sich gegenseitig über einen Messenger-Dienst zu interviewen darüber, was den Anstoß zu dem Projekt gegeben hat, und wie sie beim Umgestalten dieser altehrwürdigen Geschichte in ein Bilderbuch vorgegangen sind.

Jon Klassen und Mac Barnett © Paul Musso

Mac: Hallooooh, Jon!

Jon: Oh, hallo, Mac! Ich hatte dich gar nicht gesehen.

Mac: Ich freue mich, heute mir dir über unser neues Bilderbuch Drei Ziegenböcke namens Zack reden zu können auf einer Messaging-Plattform, deren Namen nicht verraten werden soll.

Jon: Ja. 

Mac: Hier wird auch zum ersten Mal der Umschlag gezeigt … Also, macht euch gefasst auf einen Augenschmaus!

Mac: Wirklich schöner Umschlag, Jon.

Jon: Danke. Ich mag ihn auch gern. 

Jon: Entspricht er ungefähr dem, was du dir vorgestellt hast, als es losging mit diesem Märchenprojekt?

Jon: Oder ist er besser? 

Mac: Wow! Viel besser.

Jon: Cool. 

Mac: Es begeistert mich, ein Märchenbuch mit meinem Namen drauf zu sehen.

Mac: Und es ist auch schön, deinen Namen neben meinem auf dem Umschlag zu sehen. 

Jon: Und diesmal nicht unter deinem, sondern auf gleicher Höhe. 

Mac: Also dann, ein bisschen Hintergrundinformation für die Leserinnen und Leser.

Mac: Ich habe die Geschichte von Drei Ziegenböcke namens Zack nicht erfunden. Sondern das ist ein Jahrhunderte altes Märchen aus Norwegen. 

Jon: Allerdings scheint es, als hätte es immer schon hierhin gewollt. Als hätten die alten Norweger sich das so gewünscht: dass es bei uns landet. 

Mac: Ja. Ich stelle sie mir gern in ihren … Langschiffen? … vor, wie sie an uns denken. 

Jon: Genau. 

Jon: Mac, mit deinem Können und deiner Bandbreite als Autor bist du der ideale Mann, um neue Versionen dieser klassischen Geschichten zu schaffen. Was begeistert dich heute noch an Märchen, und warum, glaubst du, eignet sich besonders dieses hier für ein Bilderbuch? 

Mac: Wow, was für eine durchdachte und schmeichelhafte Frage!

Jon: Danke.

Mac: Seit ich ein kleines Kind war, liebe ich Märchen. Ich hatte mehrere Märchensammelbände, und das waren meine liebsten Gutenachtgeschichten. Ich war auch ein Kind, das in seiner Fantasie lebte, und die Welt in meinem Kopf war schon sehr märchenhaft.

Mac: Tatsächlich habe ich schon seit vielen Jahren darüber nachgedacht, Märchen neu zu erzählen, habe das aber nie einem Verlag vorgeschlagen. Ich glaube, ich hatte nicht den Mut dazu. Aber dann hat mich Liza Baker, meine Lektorin bei Scholastic Books, mal zum Mittagessen eingeladen und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Märchen für Bilderbücher zu erzählen. 

Mac: Das hat mich umgehauen.

Mac: Das war wie …

Jon: Ja.

Mac: Unterbrich mich nicht.

Jon: Okay.

Mac: … im Märchen. 

Jon: Okay. 

Mehr als jede andere Geschichte, die ich erwogen hatte, schreit diese geradezu danach, ein Bilderbuch zu werden.

Mac Barnett

Mac: Liza und ich waren ganz begeistert und beschlossen, erst einmal drei Bücher zu machen.

Mac: (Typische Märchenzahl)

Jon: (Besonders wenn’s um Ziegen geht)

Mac: Als nächstes haben wir ein paar Monate lang Märchen gelesen und dann die ausgesucht, welche neu erzählt werden sollten. Ich hatte eine Shortlist von 12, was wohl eher eine Longlist ist, aber zum Schluss entschied ich mich für RumpelstilzchenHänsel und Gretel und Drei Ziegenböcke namens Zack

Mac: Jedes hat mich aus einem anderen Grund angezogen. Aber wichtig war mir bei diesem Projekt, diese Geschichten wirklich als Bilderbücher zu erzählen. Und hier muss erwähnt werden, dass Märchen nicht als Bilderbücher gedacht waren. Die waren etwas, das zunächst mündlich überliefert und dann in Prosa festgehalten wurde. Mir war wichtig, dass diese neuen Versionen die einzigartigen erzählerischen Vorteile, die ein Bilderbuch hat, ausnutzen würden: was beim Umblättern von einer Seite zur nächsten passiert oder die dynamische Beziehung zwischen Text und Bild. 

Mac: Drei Ziegenböcke namens Zack bietet visuell unglaublich starke Möglichkeiten. Mehr als jede andere Geschichte, die ich erwogen hatte, schreit diese geradezu danach, ein Bilderbuch zu werden. Denn es geht darin ja um Größe und Größenverhältnisse.

Mac: Klein, mittelgroß und groß.

Jon: Genau, das hat auch mir daran gefallen!

Jon: Die Geschichte war mir natürlich auch schon untergekommen, aber in den Versionen, an die ich mich erinnere, war das immer nur eine Seite in einer Sammlung.

Jon: Und das hat den ganzen Aufbau, die Steigerung kaputtgemacht, weil man nur ein, zwei Bilder zu sehen bekam.

Jon: Und dann hat man die auch noch als Erstes serviert bekommen, bevor man die Geschichte überhaupt hatte lesen können.

Jon: Du hingegen hast deinen Text so angelegt, als würdest du sagen: »Das ist ein Witz mit einer Pointe. Und so können wir den richtig erzählen.«

Mac: Genau! Indem man die Geschichte auf verschiedene Seiten aufteilt, die umgeblättert werden, kann man mit Befriedigung mitverfolgen, wie diese Ziegenböcke immer größer werden. Und indem wir den ältesten Ziegenbock bis zum Schluss aufgespart haben, konnten wir die Pointe so richtig melken.

Mac: (Was kein Ziegenmilchscherz sein sollte.)

Jon: (Puh!)

Mac: Wir wollen nicht zu viel verraten …

Mac: … aber ich glaube, mit einiger Berechtigung sagen zu können, dass wir in unserer Version den größten Ziegenbock der Kinderbuchgeschichte zu bieten haben. 

Jon: Ich hab’s auf jeden Fall versucht.

Jon: Interessant ist dabei, wenn ich daran denke, was du vorhin gesagt hast, dass Drei Ziegenböcke namens Zack wohl auch eine der Geschichten war, die mündlich vorzutragen besonders großen Spaß gemacht hat, nicht? Da saßen die um ein Feuer herum, der Erzähler machte der Wirkung zuliebe eine Pause uns sagte dann: »DER GRÖSSTE ZIEGENBOCK, DEN MAN JE GESEHEN HATTE.«

Jon: Nicht wirklich funktioniert es hingegen als nur eine Seite lange Geschichte in einem Buch. 

Mac: Genau: auf der einen Seite die Geschichte und daneben ein Bild mit drei Ziegenböcken.

Jon: Ja. Und der größte ist nur ein bisschen groß. 

Mac: Unserer dagegen ist gigantisch groß.

Mac: Es ist ja so: Sowie der erste Ziegenbock seinen Einfall hat, weiß das Publikum, was kommen wird. Deshalb besteht die Kunst darin, wie man die Geschichte erzählt, dass man manche Erwartungen der Leserschaft erfüllt, andere hoffentlich aber auch über den Haufen schmeißen kann.

Jon: Das war das andere, was mich bei der Geschichte gepackt hat: was dir als Strafe für den Troll eingefallen ist. Denn ich glaube, wir waren uns einig, dass der Spaß der Geschichte mindestens zur Hälfte darin besteht, dass dieser Troll bestraft wird, und ich habe keine andere Version dieser Geschichte gesehen, in der das so schön bedient wird wie bei dir. 

Das war auch so was, was mich als Illustrator angesprochen hat: dass die Befriedigung hinausgezögert wird.

Jon Klassen

Mac: Ja, das war das Schwierige bei dieser Adaption. Ich fand es wichtig, den Geist des Schlusses beizubehalten. In der »Originalversion«, die im 19. Jahrhundert aufgeschrieben wurde, eins zu eins nach der mündlichen Überlieferung, kriegt der Troll sein Fett ja auf brutalste Weise weg, was bestens funktioniert, wenn es laut vorgetragen wird an einem Lagerfeuer und man will, dass es den Kindern richtig schön graust.

Mac: Aber in einem Bilderbuch kannst du so was nicht bringen. 

Jon: Ich wüsste auch nicht, wie man so was zeichnet. 

Mac: Dem Troll springen die Augen aus dem Kopf.

Mac: Er wird »Stück für Stück, Knochen für Knochen zermalmt«.

Mac: Das will ich nicht sehen. 

Jon: Nein.

Jon: Aber man kann das Bedürfnis verstehen, das dahintersteckt. Man muss dem Publikum etwas bieten. Es hat schon drei volle Ziegenböcke lang darauf gewartet.

Mac: Ja! Genau das war das Knifflige: Wie können wir genauso drastisch sein wie im Original, ohne dass du Augen malen musst, die aus dem Kopf springen?

Jon: Das war auch so was, was mich als Illustrator angesprochen hat: dass die Befriedigung hinausgezögert wird. Man muss etwas Geduld haben, da fuhrwerkt die Kamera nicht wild im Zeug herum. 

Jon: Mir gefällt auch, dass hier die Einheit des Orts gewahrt wird. Das ist bei Märchen sonst nicht üblich, da wird wild durch die Welt gesaust. Aber hier hast du eine Brücke, eine Runse, und das ist schon alles. Ich hätte fast darauf verzichten können, zu zeigen, wo die Ziegenböcke hinwollen. Aber dann habe ich es trotzdem gezeigt, und das ist jetzt meine liebste Doppelseite. Außerdem haben wir auch was mit dem Layout gemacht, dass du das Gefühl von einem Vorhang hast, der sich mit jedem größeren Ziegenbock etwas höher hebt. Dabei hat mir das ganze Team von Scholastic sehr geholfen, und das macht Spaß und ist etwas Neues, glaube ich. 

Mac: Wo wir gerade bei deinen Illustrationen sind …

Mac: … mir gefällt sehr, wie du in diesem Buch das Fell aller Beteiligten gezeichnet hast. 

Jon: Hahaha, oh, danke! Ja, in der Regel mogle ich mich um Fell herum, aber diesmal habe ich es gebraucht, um zu zeigen, wie groß der große Ziegenbock war. Wenn alle nur flächig wären, würde man das nicht so stark spüren, aber dank dem Fell sagt man sich (hoffentlich): »Oha, der ist wirklich groß.«

Jon: Und Trolle haben nun mal Haare. Die sind schon ziemlich grauslich.

Mac: Stichwort Troll. Das ist auch interessant an dieser Geschichte: Die Helden treten rasch auf und verschwinden wieder von der Bühne. Der eigentliche Star, die Figur, mit der wir am meisten Zeit verbringen und die wir wirklich kennenlernen, ist der Bösewicht. 

Jon: Genau, und deshalb hat man auch irgendwie Mitleid mit ihm: weil man mit ihm dort ist. Man ist aber auch wirklich froh, dass er von einem Ziegenbock gerammt wird. In dieser Hinsicht sind wir als Publikum hin und her gerissen. 

Mac: Genau das gefällt mir so gut an Märchen: Es sind einfache Geschichten, die schnell zu Tiefem und Schmutzigem vorstoßen.

Jon: Superschnell, wenn der Ziegenbock, der dich erwischt, groß genug ist. 

Aus dem Amerikanischen von Thomas Bodmer

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