Im Gespräch mit Kazuo Iwamura

Mit der Familie Maus und den Eichhörnchengeschwistern Matz, Fratz und Lisettchen schuf Kazuo Iwamura abenteuerlustige Figuren, die seit über 40 Jahren auf eigene Faust den Wald erforschen. Herwig Bitsche hat den japanischen Illustrator und Künstler vor einigen Jahren in Japan besucht und mit ihm dieses Interview geführt, übersetzt von Thomas Bodmer.

Familie Maus und Matz, Fratz und Lisettchen begeistern seit 40 Jahren Kinder weltweit. Überrascht Sie das manchmal?

Ich freue mich sehr über diesen anhaltenden Erfolg. Offenbar sind Kinder überall auf der Welt für ähnliche Dinge empfänglich.  

In Ihren Büchern zeigen Sie die Natur in all ihren Details. Wie haben Sie diesen besonderen Blick entwickelt? 

Als Kind habe ich oft in der Natur gespielt. Diese Begeisterung steckt immer noch in mir. In meiner Jugend lernte ich in einer Kunstschule die Grundlagen des Zeichnens und wie man Figuren Ausdruck verleiht. Und bis heute studiere ich Pflanzen und Tiere genau und versuche »Leben«, das man nicht sehen kann, zu spüren und entsprechend darzustellen.

Familie Maus besteht aus 14 Mäusen und jede hat eine eigene Persönlichkeit. Keines der zehn Mäusekinder gleicht dem anderen. 

Für den Erfolg der Serie war entscheidend, dass jedes Kind als eigenständige Persönlichkeit erkennbar ist. Auch die Zahl der Mäusekinder war wichtig: Ich dachte, sieben wären nicht genug und fünfzehn zu viel. Kinder könnten sich die Namen der Mäusekinder dann nicht merken. Wenn man verfolgen wollte, wer wo war und was er tat, waren zehn genau richtig. Wenn es zehn Mäusekinder gibt, geht die Geschichte vorwärts, auch wenn drei ganz andere Dinge tun. Und warum sind es insgesamt vierzehn? Weil 2 + 2 + 10 = 14.

Alle 14 Mäuse am Esstisch

Das Zuhause der Mäusefamilie befindet sich in einem Baum. Mit jeder Geschichte lernt man neue Details kennen. Gibt es einen Plan für das Heim und den Wald, in dem Familie Maus lebt?

Auf der Rückseite von Familie Maus zieht um, Familie Maus macht Frühstück und Familie Maus sagt Gute Nacht gibt es eine Karte und einen Plan. Außerdem achte ich beim Zeichnen darauf, dass ich Szenen, die am selben Ort spielen, Darstellung in anderen Büchern nicht widersprechen. Das Badezimmer kommt zum ersten Mal in Familie Maus sagt Gute Nacht vor. Um das Badezimmer zu zeichnen, habe ich im Garten eine Badehütte gebaut, die genau wie das Zimmer im Bilderbuch aussah. Dort bin ich mit meinen Enkeln reingegangen, um mir eine bessere Vorstellung zu machen. 

Skizze einer Szene aus Familie Maus zieht um

Die Geschichten der Eichhörnchen sind parallel zur Familie Maus entstanden. Worin unterscheiden sie sich?

Ich wollte die beiden Serien klar voneinander abgrenzen. So haben wir einerseits eine Familie von Feldmäusen, die im Dickicht lebt und vor allem am Boden zugange ist, und andererseits Eichhörnchen, die in Bäumen herumturnen. Bei der Eichhörnchenfamilie haben wir uns für drei Kinder entschieden, um möglichst nahe an der Familienstruktur von Menschen zu sein. Abgesehen davon: Wären es vierzehn Eichhörnchen, hätte man nichts als buschige Schwänze im Bild.

Drei buschige Eichhörnchenschwänze aus Hurra, der Frühling ist da!

Wie lange arbeiten Sie an einem neuen Band dieser Serien?

In vielen meiner Bücher spielen die Jahreszeiten eine wichtige Rolle. Darum wäre es schön, wenn ich in einer Jahreszeit die Ideen entwickeln, in einer weiteren Jahreszeit skizzieren und dann in noch einer die endgültigen Illustrationen ausführen könnte. Tatsächlich arbeite ich aber an mehreren Werken gleichzeitig. Als ich während der Arbeit an Samui Fuyu (Deutsch: So schön ist der Winter) die Illustrationen ausführte, war es heißer Sommer. Ich steckte meine Füsse beim Zeichnen und Malen in einen Eimer voll Wasser, weil ich in meinem Atelier keine Klimaanlage hatte, und sagte mir immer wieder: Es ist kalt, es ist kalt!

In den Büchern finden sich viele Elemente der japanischen Kultur wieder. Etwa die Badekultur mit den berühmten Onsen oder auch traditionelle Feste. Verstehen Leser auf der ganzen Welt diese Bezüge?

Ich stelle die Frage gerne zurück. Wie steht es damit in deutschsprachigen Ländern? Ob es nun um die Badekultur geht, um das Herbstmittefest Akimatsuri oder um das Betrachten des Mondes (Otsukimi) – das sind alles sehr japanische oder asiatische Dinge, die damit zu tun haben, wie wir leben und was für ein Verhältnis wir zur Natur haben. Es kann gut sein, dass sie für christlich geprägte Menschen nicht unbedingt nachvollziehbar sind. Es geht hier um eine animistische Sicht der Welt, Kami sind im Shintoismus Geister oder Götter, welche die Natur beleben. Ich selbst gehöre keiner bestimmten Religion an. Aber meine Art, die Natur zu sehen und zu spüren, ist zutiefst geprägt von dem, was mich in Japan umgibt. Im erwähnten Buch geht es um die Lebensweise und Kultur wilder Mäuse. Genauer gesagt um solche, die in der japanischen Region Kanto leben. Statt dies als Ausdruck japanischer Kultur zu begreifen, kann man es als Ausdruck der Kultur wilder Mäuse sehen und genießen.

Japanisch inspirierte Badehütte in Familie Maus sagt Gute Nacht

Sie haben ein eigenes Museum: Picture Book Hill. Es ist nicht nur ein Ort der Kunst, sondern ermöglicht auch, die Natur zu beobachten. Wie kam es zu diesem Konzept? 

Ich war Mitte Dreißig, als ich mein erstes Bilderbuch schuf, und lebte damals in einer kleinen Stadt in einem Hain. Auch später habe ich stark aus der Natur geschöpft. Ich überlegte mir, dass es für meine kindlichen Leserinnen und Leser wichtig wäre, Natur direkt zu erfahren. Denn daraus, wie sie funktioniert, kann man Wichtiges fürs Leben lernen. Deshalb beschloss ich, etwas zu schaffen, wo man dank meiner Familie und meinen Freunden nicht nur die Welt der Bilderbücher, sondern auch die Welt der Natur erfahren kann. Ich bin der Überzeugung, dass es für Kinder ganz wichtig ist, dass sie hervorragende Bilderbücher haben, aber auch die echte Natur kennenlernen. 

Kazuo Iwamura

Welche Künstler bewundern Sie oder haben Ihre Arbeit beeinflusst?

Als ich überlegte, Bilderbuchautor zu werden, waren meine stärksten Einflüsse Leo Lionnis Swimmy, Marie Hall Ets’ Play with Me und der Schweizer Felix Hoffmann. Mich reizten Bilderbücher, in denen die Geschichte nicht mit Wörtern, sondern mit Bildern erzählt wird. Das gab es damals in Japan noch nicht. Natürlich war mir auch die Qualität der Bilder wichtig. Ich liebe Hoffmanns Lithografien und habe grossen Respekt vor Beatrix Potter, in deren Bücher sehr genaue Naturbeobachtung einfloss. 

Was möchten Sie der nächsten Generation an LeserInnen und VorleserInnen mitgeben?

Die Erde ist ein Planet, auf dem Menschen verschiedener Herkunft mit unterschiedlichen Lebensweisen leben. Aber auch ein Planet, auf dem verschiedene Pflanzen und Wesen leben: Bäume, Gräser, Pilze, Mäuse, Eichhörnchen, Bären, Kühe, Schwalben, Pinguine, Gottesanbeterinnen, Libellen, Spinnen, Schlangen, Frösche, Regenwürmer, Thunfische, Sardinen, Wale und viele andere. Die Erde gehört allen Lebewesen.

Können wir uns auf weitere Bücher von «Familie Maus» und «Mats, Fratz und Lisettchen» freuen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich bin unterdessen über achtzig, habe mit allerlei Altersbeschwerden zu kämpfen und bin entsprechend durcheinander. 

Ich danke Ihnen für das Gespräch!

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