»Ideen erscheinen einfach in meinem Kopf«

Johanna Ries wurde in Marl im Ruhrgebiet geboren und studierte Illustration an der Münster School of Design. Ihr Bilderbuchdebüt »Die Fleckenfeder«, das im Frühling 2021 erschien,  basiert auf ihrer erstaunlichen Bachelorarbeit. Darin nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Savanne und erzählt eine Geschichte über Streit und Versöhnung. Wir lassen Johanna gleich selbst zu Wort kommen, sie berichtet vom Entstehungsprozess des Buches und von der Illustrationstechnik, die sie extra dafür entwickelte.

Wann immer ich eine Geschichte schreibe, kann ich nicht richtig sagen, woher die Ideen kommen. Sie erscheinen einfach in meinem Kopf und sind da. Bei Die Fleckenfeder war es ähnlich. Im Frühling 2018 begann ich mit meiner Bachelor-Arbeit an der Münster School of Design; Ich wollte schon seit Jahren ein Kinderbuch schreiben und illustrieren – und als Professor Marcus Herrenberger, der mich in meinem Abschlusssemester betreute, mit mir über das Thema meiner Bachelor-Arbeit sprechen wollte, brauchte ich eine Idee.

Der Ursprung der Kreativität

Ich war ein Kind, als ich mit dem Geschichtenschreiben anfing, sozusagen ab dem Zeitpunkt, als ich das Alphabet gelernt hatte. Davor erzählte ich die Geschichten, indem ich mit Kugelschreiber, Filzstift und Wachsmalern jedes Stück Papier beschmierte, das in meine Hände fiel. Meine Eltern mussten dann den Text neben meine Kritzeleien schreiben. Geschichten zu schreiben und mit Farbe zu arbeiten waren schon immer wichtige Teile meines Lebens – insbesondere während meiner Kindheit. Meine Geschwister und ich lieben es, zu malen und zu zeichnen, und unsere Eltern haben uns über die Jahre hinweg sehr darin unterstützt. Mein Bruder (ebenfalls Illustrator), meine Schwester und ich sind seitdem auch nicht mehr davon weggekommen. Ich denke, dass es wichtig ist, seinen Kindern zu zeigen, dass Kreativität nichts Nutzloses ist, das einfach nur aus Spaß passiert, sondern dass kreatives Denken eine wichtige Rolle spielt in dem Prozess, uns selbst zu finden, zu entdecken wer wir sind und was wir lieben, und wie wir mit den kleinen und großen Herausforderungen des Lebens umgehen können.

Ich war ein Kind, als ich mit dem Geschichtenschreiben anfing.

Johanna Ries

2018 also, während ich an meiner Bachelor-Arbeit saß, brauchte ich eine Idee für eine Geschichte, mit der ich die nächsten paar Monate verbringen wollte, und die eine tiefere Botschaft transportieren würde; eine, die mir etwas bedeutete. Aber mindestens so wichtig war die Frage, mit welcher Technik ich arbeiten würde. Ich habe mich immer am wohlsten gefühlt, wenn ich mit Gouache malte (ähnlich wie Aquarell, aber deckend). Also war von Anfang an klar, dass ich damit arbeiten würde. Ein großer Teil meines Wissens über diese Technik stammt vom deutsch-russischen Illustrator und Künstler Aljoscha Blau, der einige Gouache-Workshops an meiner Fachhochschule unterrichtet hat. Gouache ist eine wunderbare Farbe: Man kann sie wie Aquarell verwenden, aber auch Schicht über Schicht über Schicht auftragen, Texturen hinein stempeln, in die Oberfläche kratzen, experimentieren.

Von der Bachelorarbeit zum Bilderbuch

Wann immer ich eine Geschichte schreibe, kann ich nicht richtig sagen, woher die Ideen kommen. Sie erscheinen einfach in meinem Kopf und sind da. Bei Die Fleckenfeder war es ähnlich. Im Frühling 2018 begann ich mit meiner Bachelor-Arbeit an der Münster School of Design; Ich wollte schon seit Jahren ein Kinderbuch schreiben und illustrieren – und als Professor Marcus Herrenberger, der mich in meinem Abschlusssemester betreute, mit mir über das Thema meiner Bachelor-Arbeit sprechen wollte, brauchte ich eine Idee.

Und als plötzlich das Bild von einem großen, etwas grummelig wirkenden Elefanten in meinem Kopf erschien, dachte ich sofort, dass Gouache das perfekte Medium für eine solche Figur wäre. Ich folgte dem Elefanten durch meine Gedanken, stellte mir vor, wie er durch die staubige Savanne trottete. Ich erinnerte mich daran, dass manchmal Vögel auf den großen Tieren der Steppe sitzen. Die Tatsache, dass verschiedene Spezies in einer Symbiose zusammenleben und miteinander auskommen, egal wie unterschiedlich sie sind, hatte mir schon immer gefallen. Ich recherchierte eine Weile und stieß dabei schließlich auf Kuhreiher – wunderschöne weiße Vögel mit langen Hälsen und langen Beinen. Kuhreiher sitzen häufig auf großen Savannentieren und säubern diese von Parasiten; im Gegenzug sind sie dort oben sicher vor Fressfeinden. Weiße Vögel auf der dunklen Haut eines Elefanten würden einen schönen Kontrast darstellen, überlegte ich, aber schöne Bilder allein ergeben noch keine Geschichte. Ich benötigte einen Konflikt, etwas, das die Balance störte, etwas, das zu ernsten Schwierigkeiten führen würde und das nach einer Lösung verlangte.

Die Menschen haben schon immer wegen nutzloser Dinge gestritten.

Johanna Ries

Also – warum nicht einfach mit dem Wind eine hübsche Feder zu den Vögeln schicken? Etwas, das schön aussieht, das einen der Vögel auf angeberische Weise über die anderen beiden erhebt, etwas, das zu Neid und Streit führt, aber das gleichzeitig so nutzlos ist, dass jedes Streiten eigentlich überflüssig wäre. Aber die Menschen haben schon immer wegen nutzloser Sachen gestritten und darüber die wirklich wichtigen Dinge verloren, wie zum Beispiel Freundschaften. Darüber wollte ich eine Geschichte erzählen: Streitet nicht über nutzloses Zeug und denkt daran, dass Freundschaft und Frieden die wichtigsten und wertvollsten Güter sind, die wir besitzen. Der Elefant spielt hier die Rolle eines Elternteils, das seine Kinder die Konflikte selbstständig lösen lässt, aber gleichzeitig immer für sie da ist und sie vor jeder Gefahr beschützt. Die drei Vögel Ade (Yoruba für Krone), Emem (Ibibo für friedlich) und Nuru (Swahili für Licht) treffen schließlich auf einen afrikanischen Wildhund und erkennen, nachdem sie durch den Elefanten gerettet wurden, was sie wegen einer nutzlosen Feder beinahe alles verloren hätten.

Experimente und kreative Zufälle

Wenn ich mit Gouache male, experimentiere ich gerne. Ich lasse Farbschichten übereinander laufen, lasse sie  sich hier und da durch Zufall miteinander vermischen und stemple Strukturen in die Farbe. Zum Beispiel drückte ich eine Taubenfeder, die ich auf meinem Balkon gefunden habe, in die noch nasse Farbe auf den Körpern der Vögel, um eine einzigartige Textur zu erreichen. Der Zufall ist sowieso jenes Element, das mir an analogen Techniken am meisten gefällt: Eines Abends hatte ich gerade die ersten Farbschichten des Elefantenrüssels fertiggestellt, der auf der Doppelseite zu sehen ist, wo der Wildhund einen Schlag vor die Brust erhält – und ich war sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Zu Beginn zeichnete ich realistischere Skizzen. Das half mir, ein Gefühl für die Tiere zu bekommen.

Ich legte das unfertige Bild auf meinen Balkon, um es dort für den nächsten Tag trocknen zu lassen. Stunden später saß ich auf meinem Bett. Draußen tobte ein Gewitter mit starken Regenfällen, und ich war fasziniert, als ich die Blitze beobachtete und zuhörte, wie die Regentropfen auf die Blätter trommelten.

Plötzlich erinnerte ich mich, dass ich das Bild auf dem Balkon vergessen hatte. Schon etwas verzweifelt rannte ich nach draußen und holte das Papier in die Wohnung (es war vollkommen durchnässt), legte es vorsichtig neben der Heizung auf den Boden und traute mich bis zum nächsten Morgen nicht, es mir genauer anzusehen. Aber als das Wasser getrocknet war, sah ich, dass der Regen eine wunderschöne Textur auf dem Rüssel hatte entstehen lassen, eine Textur, die ich niemals erreicht hätte ohne den Zufall, ein Gewitter und mein vergessliches Gehirn.

Größenvergleiche waren ein wichtiger Teil der Recherchearbeit. Das nahe Zusammenspiel von Elephant, Kuhreiher und Afrikanischem Wildhund verlangte gründliche Studien.

Hintergründe zu malen war schon immer eine Sache, die ich (bis zur Fleckenfeder) vermieden habe, wo immer es ging, denn am liebsten arbeite ich nun mal an den Tieren und ihren Gesichtsausdrücken. Sobald ich die Augen gemalt habe und ein Tier beginnt, mich anzusehen, wird ein Bild lebendig. Hintergründe können einem diesen Gefallen leider nicht tun. Aber für ›Die Fleckenfeder‹ habe ich eine Methode benutzt, mit der ich nie zuvor gearbeitet hatte: Ich pinselte und stempelte seitenweise Texturen – wie zum Beispiel Erdboden, Himmel, Wasser, Gras (hierbei stempelte ich Blätter und Stöcke in die nasse Farbe) – scannte sie und collagierte die digitalen Bilder. So stellte ich Stück für Stück die Hintergründe für die Welt meiner Charaktere zusammen. Anschließend scannte ich die fertigen Illustrationen meiner Protagonisten, schnitt sie digital aus und setzte sie in die fertig collagierte Welt – es sah toll aus. Und als einen schönen Nebeneffekt konnte ich endlich meine Angst vor dem Hintergrund-Malen überwinden.

Streiten ist wichtig. Im Streit lernen wir, wie wir unseren Standpunkt verteidigen, wie wir die Perspektive der Gegenseite einnehmen können und wie wir uns vertragen. Aber manche Konflikte können vermieden werden. Wer ist am schnellsten, wer am schönsten, am reichsten, wer ist am besten und steht über allen anderen? All diese Fragen werden unbedeutend, sobald man erkennt, auf was es wirklich ankommt: Freundschaft und Frieden. Und wer würde das für eine Fleckenfeder aufgeben?