Die Kunst des Nacherzählens
Für unsere Bücher arbeiten wir mit internationalen Autor:innen und Illustrator:innen zusammen. Für die Texte bedeutet dies jeweils, dass wir sie erst übersetzen müssen. Bei Auf geht’s, dem neusten Buch von Baptiste Paul, illustriert von Jacqueline Alcántara, handelt es sich im Deutschen aber um viel mehr als eine Übersetzung. Svenja Herrmann und unsere Lektorin Elena Rittinghausen erzählen, wie die Nacherzählung entstanden ist.
Elena: Für seinen charakteristischen Ton schätzen wir Baptiste Paul schon lange. Seine Markenzeichen sind sein knapper Stil und Wörter aus seiner kreolischen Muttersprache. Beides sollte im Deutschen unbedingt erhalten bleiben. Gleichzeitig sind solche verknappten Texte im Deutschen weniger üblich als im englischsprachigen Raum. Die vielen Ellipsen (Auslassungen) können ziemlich herausfordernd sein. Er selbst sagt dazu: »Eines der Instrumente, die ich beim Schreiben verwende, ist das Zeigen anstelle des Erzählens.«
Wir kennen Baptiste Paul gut und haben ihn gefragt, ob wir etwas freier mit seinem Text umgehen dürfen. Er war sofort einverstanden. Aber erst als Svenja Herrmann an Bord kam, waren wir uns sicher, dass eine Nacherzählung funktionieren könnte. Denn Svenja hat ein feines Gespür für Klang und Rhythmus. Sie würde den richtigen Zugang finden und respektvoll mit dem Original umgehen.
Svenja: Die deutsche Fassung von Auf geht’s haben wir als Nacherzählung und Übersetzung bezeichnet, da einige erzählende Passagen ganz neu dazukamen. Sobald neue Passagen zu einem Text dazukommen, kann man nicht mehr von einer Übersetzung sprechen. Und ein Begriff, der dafür passt, ist die Nacherzählung, die in dieser Hinsicht freier mit dem ursprünglichen Werk umgehen darf.
Baptiste Paul arbeitet in Auf geht’s mit einer starken Verknappung und Auslassung der Sprache, die sich aber ebenso stark durch Rhythmus, Mündlichkeit, Lebendigkeit und Heiterkeit auszeichnet. Diese Gestaltungsmerkmale des Textes waren zentral für die Übersetzung. Für die erzählenden Textpassagen hingegen, die neu dazukamen, habe ich einen ganz anderen Ton gefunden, der sich aber in der Stimmung der gesamten Geschichte mit den Illustrationen von Jacqueline Alcántara findet.
Mein Grundhandwerk ist die Lyrik. Ich arbeite mit Sprachbildern, Rhythmus und auch mit der Verknappung und Auslassung. Das Besondere und auch Herausfordernde bei der Textarbeit an Auf geht’s war für mich, diese verschiedenen Schreibstile von Baptiste Paul und mir so miteinander zu verbinden, dass die Harmonie und der Charakter des Textes von Baptiste Paul mit den Bildern von Jacqueline Alcántara erhalten bleiben.
Ich schrieb dann eine erste Fassung und diese blieb lange liegen. Und als ich sie viele Wochen später wieder las, erschrak ich sehr, weil deutlich wurde, dass die verschiedenen Stile an der ursprünglichen Harmonie der englischen Originalfassung des Buchs heftig kratzten. Und so setzte ich die Arbeit fort, las mir selbst den Text oft laut vor, feilte intensiv zusammen mit Elena, bis wir das Gefühl hatten, jetzt ist der Erzählstrang eine schöne, passende Begleitung zu den Bildern und den mündlich-dialogisch gehaltenen Textpassagen, die im engeren Sinn übersetzt wurden.
Elena: Und das ist das Wunderbare, wenn ich das Buch jetzt anschaue: Ich höre Baptistes Stimme und habe trotzdem das Gefühl, der Text könnte auf Deutsch geschrieben worden sein.