Stein für Stein

Die Ideen zu unseren Büchern finden auf verschiedensten Wegen zu NordSüd. In Wir bauen einen Damm! wird der Text des Schweizer Autors Daniel Fehr liebevoll in Szene gesetzt durch die Illustrationen der Italienerin Mariachiara Di Giorgio. Unsere Lektorin Naomi Wolter berichtet, wie das Buch entstand und eine internationale Zusammenarbeit zu Stande kam.

Das Buch Wir bauen einen Damm! weckt in mir viele schöne Erinnerungen daran, als Kind am Wasser zu spielen. Ob an einem See oder bei uns in der Nachbarschaft an einem Bach. Auf Schweizerdeutsch würde ich »Bächli staue« sagen, wenn man mit Steinen und Ästen das Wasser versucht aufzuhalten, es umzuleiten und irgendwie zu beherrschen. Das Buch zeigt mir, dass ich solche Erinnerungen nicht nur mit den Kindern teile, die mit mir Bäche gestaut haben, sondern auch mit vielen anderen Menschen. 

Eine ebensolche Erinnerung aus der Kindheit stand auch für Daniel Fehr am Ursprung dieses Bilderbuchs. Als ich ihn fragte, wie er dazu kam, die Geschichte zu schreiben, antwortete er: »Ich hatte keine Idee. Darum ging ich wandern. Ich weiß noch, dass ich abends müde im Zug saß: das Wasser des Sees immer noch vor Augen. Und da musste ich mich daran erinnert haben, wie ich es als Kind liebte, Bäche zu stauen. Immer noch habe ich ein Bild im Kopf, wie ich mit meiner Schwester Stein auf Stein lege. Und mit dem Damm wuchs unsere Fantasie.«

So ein Bild vor dem inneren Auge kann also am Anfang einer Geschichte stehen. Und als Manuskript landet eine Geschichte dann bei uns im Lektorat. Wir kriegen täglich Manuskripte zugeschickt und unsere Aufgabe ist es, dort die zu NordSüd passenden Geschichte herauszufiltern. Mit Daniel Fehr sind wir schon seit vielen Jahren in Kontakt und haben uns immer wieder zu Ideen und Geschichten ausgetauscht. Als er uns 2019 dann dieses Manuskript schickte, waren wir sofort überzeugt.

Mit dem Damm wuchs unsere Fantasie.

Daniel Fehr

Wir bauen einen Damm! ist eine fantasievolle, witzige Geschichte. Das Setting und die Beschäftigung des Dammbaus sind vielen Kinder – und eben auch den vorlesenden Erwachsenen – vertraut. Dies ist relevant, da es gerade bei unseren jungen Leserinnen und Lesern wichtig ist, dass sie sich mit den Charakteren einer Geschichte identifizieren und mit ihnen mitfühlen können. Die drei charakterstarken Geschwister Mia, Leni und Noah, die so freiheraus mit einander sprechen und gemeinsam Stein auf Stein schichten, sind dabei unverzichtbar. 

Neben der Lebensnähe ist gerade auch die Fantasie in Wir bauen einen Damm! zentral. Das zeigt sich einerseits dadurch, dass die Kinder einen überdimensionalen Damm bauen und sie sich ihn immer noch grösser wünschen. Andererseits lockt ihr Bauwerk auch unerwartete Figuren, wie Piraten und einen König an. Als wir den Text lasen, erweckte er sofort Bilder in unseren Köpfen. Dies ist essentiell, denn wenn sich ein Text nicht gut in Illustrationen übersetzen lässt, wird es schwierig, ein Bilderbuch daraus zu machen. 

Als wir den Text lasen, erweckte er sofort Bilder in unseren Köpfen.

Naomi Wolter

Für die Umsetzung der fantasievollen Geschichte wünschten wir uns von Anfang an die Illustratorin Mariachiara Di Giorgio. Sowohl von Verlagsseite als auch von Daniel Fehr aus, gab es schon länger den Wunsch, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die italienische Künstlerin ist in der Bilderbuchwelt bekannt und beliebt. Wir schickten ihr den Text und sie war begeistert von der Geschichte. Außerdem – und das ist nicht weniger wichtig – hatte sie Zeit, das Projekt für uns umzusetzen. Als ich Mariachiara fragte, was sie an der Geschichte reizte, meinte sie: »Mir gefiel die Idee, dass das Spiel sehr lebendige, fantastische Bilder hervorruft, weil es bekanntlich eine ernste Angelegenheit ist. Ich fand dieses Bild des Staudamms, der, je mehr er wächst, in seinem Becken eine fantasievolle Welt kreiert, sehr schön. Die ganze Energie der Kinder sammelt sich in einem stürmischen Meer, einer Eskalation absurder Situationen, bis sie in den Händen des Jüngsten explodiert und uns alle überflutet.«

Es freute uns besonders, dass wir Mariachiara für dieses Projekt gewinnen konnten. Bis anhin hatte sie noch keine Originalausgabe bei einem deutschsprachigen Verlag veröffentlicht. Die Zusammenarbeit war deshalb für uns alle eine Premiere. 

Da Mariachiara in Rom lebt und arbeitet, fand unser Austausch zu den Illustrationen hauptsächlich via Mail und Video Calls statt. Mit einer Mischung aus Italienisch, Französisch und Englisch konnten wir die Bilder so auch über die Distanz besprechen. Die gemeinsame Arbeit an den Illustrationen war inspirierend – vom Storyboard, über die ersten Farbskizzen bis hin zu den in Collage gearbeiteten Steinen.

Mariachiara hat für dieses Buch ein durchdachtes Konzept entworfen. Das Querformat bildet eine große Kulisse für den Damm und der Text ist wie Untertitel in einem weißen Balken unter das Bild gesetzt.

Sie erklärte mir, wie sie dazu kam, diese Perspektive zu wählen: »Ich habe mich für einen festen Rahmen entschieden, weil mir die Idee des Damms, der mit dem Umblättern der Seiten wächst, sehr gut gefiel. Fast so, als ob es sich um eine Animation handeln würde, welche die Aktivitäten der Kinder hervorhebt und mit der absurden und fantastischen Welt im Hintergrund kontrastiert. Indem ich die Szene mit den Kindern im Vordergrund beleuchte oder abdunkle, hebe ich entweder das hervor, was zwischen den Protagonisten geschieht, oder das, was im Hintergrund abläuft. Ein bisschen wie im Theater.«

Sind die Illustrationen dann abgeschlossen, folgt der spannende Moment, wenn der Text in das Bild eingefügt wird. In Wir bauen einen Damm! entsteht zwischen dem Geschriebenen und dem Gezeigten eine tolle Dramaturgie, wodurch die Spannung von Seite zu Seite steigt. Im Voraus kann man nie wissen, wie das Buch schließlich aussehen wird. Deshalb fragte ich mich, wie Daniel eigentlich auf die großartige Idee kam, Mariachiara als Illustratorin vorzuschlagen. Er meinte dazu: »Mariachiaras Stil kann wie ein glitzernder Bergsee sein: klar und doch nicht zu fassen. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass sie die Stimmung der Kinder ebenso gut einfängt wie das, was auf dem See passiert. Und das ist ihr ausgezeichnet gelungen. Besser als ich es mir vorstellen konnte.«

Ein bisschen wie im Theater.

Mariachiara Di Giorgio

Von einer Idee für eine Geschichte, hin zur Umsetzung in Bildern und schließlich zum gedruckten Bilderbuch gibt es unglaublich viele Schritte und eine Menge Menschen sind daran beteiligt. Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie genau eine Zusammenarbeit zustande kommen kann und welcher Autor, welche Illustratorin an einem Projekt mitwirkt. Am Schluss ist Bilderbücher machen eigentlich gar nicht mal so anders wie Dämme bauen: Es geht am besten, wenn alle gemeinsam anpacken, sich mit einander abstimmen und viel Raum für Fantasie bleibt.

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