Von der Muse geküsst

Der römische Dichter Ovid hat mit seinen Metamorphosen eine Vers-Sammlung geschaffen, die zu den einflussreichsten Texten der Weltliteratur zählt. Der antike Stoff hat bereits unzählige Neuinterpretationen in sämtlichen Künsten erfahren, erscheint nun aber erstmals als Bilderbuch. Der preisgekrönte Autor Heinz Janisch hat dafür ausgewählte Mythen in eine poetisch-kraftvolle, kindgerechte Sprache übertragen. Illustratorin Ana Sender hat dazu kunstvolle Bilder geschaffen. Mit uns sprachen die beiden über ihr neues Werk »Das goldene Zeitalter«.

Habt ihr einen persönlichen Bezug zu Ovid oder zur antiken Literatur im Allgemeinen?

Heinz: Ich habe die Texte von Ovid in der Schule im Lateinunterricht kennengelernt. Sie und auch seine Lebensgeschichte haben mich fasziniert und waren mit ein Grund dafür, dass ich in Latein plötzlich mehr aufgepasst habe. Später im Germanistikstudium sind Motive aus den Metamorphosen immer wieder als wichtige Bausteine der Weltliteratur aufgetaucht, die viele Autorinnen und Autoren beeinflusst haben.

Ana: Man kennt sie unweigerlich, es gibt ja so viele Versionen davon. Unsere Literatur inspiriert sich an diesen Klassikern, wir haben sie in der Schule durchgenommen, sie sind ins Kino eingegangen, in die Kinderliteratur … Ich habe einmal mit einem spanischen Modelabel zusammengearbeitet und einen Teil einer Kollektion illustriert, die sich an den Metamorphosen inspirierte.

Heinz: Auch mich hat das Motiv der Verwandlung schon immer beschäftigt, das ja auch in Märchen eine wesentliche Rolle spielt. Alles ist möglich. Das erscheint mir ohnehin ein Lebensthema zu sein – unser Wunsch nach Verwandlung, auch unsere Angst davor, dass plötzlich alles anders sein könnte. Im Grunde genommen leben wir in jedem Augenblick mit Metamorphosen.

Was bedeutet euch dieses Projekt?

Ana: Für mich war es wie ein Geschenk. Die Lektorinnen von NordSüd wollten, dass ich meine ganz persönliche Sicht beitrage. So etwas kommt nicht oft vor, wenn man beauftragt wird, ein Buch zu illustrieren.

Heinz: Das Projekt ist ein Herzensprojekt. Ich wollte die Magie und den Zauber dieser Geschichten für viele Leserinnen und Leser – fern aller Altersstufen – spürbar machen.

Das Projekt ist ein Herzensprojekt.

Heinz Janisch

Wie habt ihr die Arbeit daran erlebt?

Heinz: Schön und intensiv. Ich konnte schon beim Lesen wochenlang eintauchen in diesen Kosmos der unglaublichen Geschichten. Ich habe zunächst alle ca. 250 Geschichten gelesen, das waren an die 600 aufregende Seiten … Die Lektüre war ein Erlebnis – schön, schaurig, grausam und zärtlich sind diese Geschichten. Kein Wunder, dass Motive daraus in vielen Kunstwerken zu finden sind. Für unser Buch habe ich mich dann auf 17 Geschichten konzentriert. Die Auswahl war nicht einfach! Die große Freude war dann, zu sehen, wie das Buch langsam Gestalt annahm, mit jeder neu erzählten Geschichte.

Ana: Es gibt so ungeheuer viele Bilder und Referenzen zu diesen Mythen. Deshalb lag die Schwierigkeit darin, mich davon zu lösen und zu versuchen, etwas Neues beizutragen. Das ist aber fast unmöglich. Ich habe also einige dieser Referenzen verwendet, gleichzeitig aber auch versucht, mich von anderen Quellen inspirieren zu lassen, wie der Malerei, dem Kino etc., die nichts mit der Mythologie zu tun hatten. Und das liess ich dann alles durch meinen eigenen Filter laufen. Ich hatte das Glück, dass die Lektorinnen voll auf meine Auswahl vertrauten und mich experimentieren und die Arbeit auf eine sehr persönliche Ebene bringen ließen.

Bei diesem Projekt habe ich versucht, mich einfach treiben zu lassen.

Ana Sender

Heinz, du hast dich bereits öfters an wuchtige weltliterarische Texte gewagt. Wie war es für dich, dafür eine eigene Sprache zu finden? 

Heinz: Jedes Buch stellt eine entscheidende Frage: Wie verhält man sich dazu? Ich werde bei Texten, wie sie in der Bibel oder in den Metamorphosen stehen, auf seltsame Art und Weise ruhig. Ich möchte fast sagen, beim Lesen richtet sich etwas in mir auf, die Haltung verändert sich. Diese Texte verlangen einen klaren, konzentrierten Blick. Und so will ich sie auch erzählen – ruhig, klar, mit Luft und Zwischenraum, mit einem Ton, der nicht künstlich oder verstellt klingt.

Ana, erzähl uns etwas zu den Techniken, die du bei der Illustration verwendest.

Ana: Bei diesem Projekt habe ich versucht, mich einfach treiben zu lassen. Eine Zeitlang habe ich ausschließlich mit digitalen Techniken gearbeitet, dann spürte ich aber das Bedürfnis, zum Analogen zurückzukehren. Also habe ich mit Aquarellfarben, Buntstiften und Wachsmalkreiden gearbeitet, je nachdem, was die Illustration erforderte. Für die letzten Retuschen habe ich auch wieder digitale Techniken verwendet.

Wie war die Zusammenarbeit zwischen euch?

Heinz: Ich habe durch meine Liebe zu Bilderbüchern gelernt, loszulassen. Der Text ist zuerst da und eröffnet – hoffentlich – viel Platz für Bilder. Ich mische mich kaum in die Arbeit von Illustratorinnen und Illustratoren ein. Wort und Bild sollen auf Augenhöhe nebeneinander bestehen können und dafür muss jeder möglichst frei arbeiten können. Ich warte also voller Neugier – und dann staune ich und freue mich. Ana bereichert das Buch mit großartigen Bilderwelten.

Ana: Ich hatte während des ganzen Prozesses keinen direkten Kontakt zu Heinz. Er bekam die Illustrationen über die Lektorinnen, mit denen ich gearbeitet habe, also über Andrea und Elena. Als ich erfahren habe, dass ich seine Texte illustrieren würde, bin ich gleich in die Bibliothek gerannt und habe mir seine Bücher geholt. Er ist für mich ein sehr besonderer Schriftsteller und ich fühle mich sehr geehrt, seine Worte zu illustrieren. 

Was wünscht ihr dem Buch und seinen Lesern? 

Heinz: Das Buch kann vielleicht Neugier auf die großen Texte der Weltliteratur und die Lust auf eigene Verwandlungsgeschichten wecken, auf geschriebene und gelebte … Es kann hoffentlich die Freude am Geschichtenerzählen nähren.

Ana: Ich hoffe, dass es ein zeitloses Buch wird. Eines von diesen Büchern, die man wie einen Schatz in seiner Bibliothek aufbewahrt und zu denen man ab und zu zurückkehrt, um sie mit Muße zu betrachten.

Danke fürs Gespräch!

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