Die märchenhafte Welt von Bernadette

Im Oktober 2025 kam die Künstlerin Bernadette Watts aus England nach Zürich, um uns im Verlag zu besuchen. Verleger Herwig Bitsche hat sie auf ihren Stationen in der Schweiz und Österreich begleitet und gibt hier einen persönlichen Einblick in die Vorbereitung, in die Veranstaltungen und worüber sie gesprochen haben – beispielsweise darüber, wie die Zusammenarbeit zwischen dem NordSüd Verlag und Bernadette vor fast 60 Jahren zustande kam.

1967 reiste eine junge Künstlerin aus England mit ihren Illustrationen auf die Frankfurter Buchmesse. Sie hatte weder eine Eintrittskarte noch das Geld für die Rückreise. Sie traf dort den Verleger Dimitrije Sidjanski. Aus dieser Begegnung entstand ihr erstes Buch Rotkäppchen – und die Zusammenarbeit mit NordSüd, die bis heute anhält.

Kurz darauf reiste Bernadette zum ersten Mal nach Zürich. In sechs Jahrzehnten erschienen rund 100 Bücher von ihr bei NordSüd und sie war häufig zu Gast in der Schweiz, wo ihre Popularität weit größer war als in ihrer Heimat England. In den letzten Jahren sind ihre Besuche in Zürich und im Verlag seltener geworden. Immer wieder hat Bernadette den Wunsch geäußert, unsere neuen Verlagsräume zu sehen.  Also haben wir einen neuen Anlauf genommen und Bernadette nach Zürich eingeladen – und im Oktober 2025 hat die Reise funktioniert. Dank tatkräftiger Unterstützung von Jacqueline Frei, die Bernadette von England nach Zürich begleitet hat.  

Bernadette Watts und Jacqueline Frei auf ihrer Reise von England nach Zürich.

2024 hat Bernadette ihren kompletten Vorlass nach Zürich transferiert. Ein Teil davon ist inzwischen in der Zentralbibliothek Zürich archiviert (und kann online recherchiert werden), ein weiterer Teil liegt im Archiv des NordSüd Verlags. Der Vorlass enthält Originale von bekannten Bilderbuchklassikern, Vorstudien, Varianten, Storyboards, Notizbücher und Briefe von Künstlerkolleg:innen. Ein Schatz, wie aus einem Bilderbuch, möchte ich behaupten, nachdem ich Gelegenheit hatte, die vielen Hundert Blätter und Objekte zu sichten. Obwohl ich mit den Arbeiten von Bernadette recht vertraut bin, habe ich zahlreiche Entdeckungen gemacht. Frühwerke, die vor der Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden sind und fast vollständige, unveröffentlichte Werke. Meine Begeisterung wuchs mit jedem Konvolut, das ich geöffnet habe. Es ist ein rarer Moment im Verlagsalltag, solche Einblicke in die Entstehung von Bilderbüchern zu bekommen. Und um dieses Glück zu teilen, haben wir beschloßen, Teile aus dem Vorlass zu zeigen.

Verleger Herwig Bitsche rahmt die Illustrationen von Bernadette für die Ausstellung in Vorarlberg.

Zusammen mit der Zentralbibliothek Zürich und dem Literaturhaus Vorarlberg haben wir eine Veranstaltungsreihe mit Bernadette und Originalen aus ihrem Vorlass durchgeführt. In der Zentralbibliothek in Zürich führten Anna Lehninger, die den Vorlass der Zentralbibliothek erfasst und erschlossen hat, und ich ein Gespräch mit Bernadette. Sie erzählte dabei aus der facettenreichen Zusammenarbeit mit NordSüd, ihrer Begegnung mit den Verlagsgründern und den Hoffnungen, die sie bei unserem ersten Kennenlernen in mich gesetzt hat. In den Vitrinen der Zentralbibliothek konnte die Gäste Originale und verschiedene Objekte betrachten, u.a. ein Skizzenbuch aus dem Jahr 1967, das Bernadette auf ihrer Reise nach Frankfurt begonnen hat. 

Eindrücke des Gesprächs zwischen Herwig Bitsche, Anna Lehninger und Bernadette Watts in der Zentralbibliothek Zürich und das Skizzenbuch aus dem Jahr 1967.

Das Literaturhaus Vorarlberg ist eine noch recht junge Institution, die erst im Frühjahr 2025 ihren Betrieb aufgenommen hat. In der historischen Villa Franziska und Iwan Rosenthal, die ein Teil des neuen Regierungsviertels der Stadt Hohenems ist, hat sich Frauke Kühn, die Leiterin des Literaturhauses, die Aufgabe gestellt, nicht nur klassische Lesungen, sondern auch Einblicke in die Entstehung von Literatur, zu ermöglichen. Und was für die Literatur gilt, soll auch Kinderbüchern zur Verfügung stehen. 

Der Vorlass von Bernadette bot eine ideale Gelegenheit diesen Anspruch in einer ganz besonderen Form zu ermöglichen. So entstand die Idee zu einer kleinen Werkschau mit 24 Originalen aus sechs Jahrzehnten: bekannte Märchenillustrationen, Fabeln und Erzählungen und jüngste Arbeiten sind noch bis Ende Oktober im Literaturhaus zu besichtigen. 

Die Illustrationen können im Literaturhaus Vorarlberg bestaunt werden.

Am Donnerstagabend begrüßte Frauke Kühn, in perfektem Englisch, die zahlreichen Gäste. Auch das anschliessende Werkstattgespräch führten wir auf Englisch – Bernadettes subtiler Humor und ihre lebhaften Erinnerungen kamen so am besten zur Geltung. Das Literaturhaus hatte seine erste fremdsprachige Veranstaltung bravourös gemeistert. 

Bernadette beherrscht die hohe Kunst Kinderaugen zum Glänzen zu bringen.

Herwig Bitsche

Am Freitagnachmittag gab es zwei Lesungen für Kinder, mit Sara Baric, die Varenka und Milie und der geheimnisvolle Igel auf Deutsch vorlas und Bernadette die die englischen Originaltexte las. Am Freitagabend gab es dann den mit Spannung erwarteten »Blick in das Werk«. Dieser Blick bekam noch dadurch eine besondere Note, dass Bernadette aufmerksam mitschaute und einzelne Arbeiten einordnete. Die Zuhörer versammelten sich rund um einen großen Tisch und konnten so die einzelnen Werke aus nächster Nähe betrachten und mit den Büchern vergleichen. Ich konnte anhand vieler Beispiele zeigen, wie ein Bilderbuch entsteht, vom Storyboard bis zum gedruckten Buch. Die Originalillustrationen zeigten noch eine zusätzliche Ebene des Entstehungsprozesses: in zahlreichen Randbemerkungen, die Bernadette auf die Blätter schrieb gibt sie den Lektoren und Lithografen Hinweise und Anweisungen.

Meine Begeisterung wuchs mit jedem Konvolut, das ich geöffnet habe.

Herwig Bitsche

In der Ausstellung haben wir bewusst die Blätter ohne Passepartout gezeigt, wodurch man die Randbemerkungen deutlich sehen kann. Da wird detailliert die Flora und Fauna vermerkt und Anweisungen erteilt Retuschen vorzunehmen und ja nicht die Gans abzuschneiden (Don’t loose the Goose!). Ein völlig neues Format der Buchvermittlung, das mir sehr viel Freude in der Vorbereitung gemacht hat und das die Besucher fast zwei Stunden lang aufmerksam verfolgt haben.

Herwig Bitsche präsentiert die Illustrationen.

Dieser Vorlass von Bernadette ist ein Schatz, in den einzutauchen mir eine immense Freude gemacht hat und immer wieder macht. Weil ich mit jeder Sichtung neue Entdeckungen mache und neue Zusammenhänge erkenne. Aber vor allem sind Bilderbücher an sich ein Schatz für unsere Gesellschaft und für unseren Kinder, die dadurch lernen, die Welt zu verstehen und die gleichzeitig ihre Fantasie anregen. Bernadette beherrscht die hohe Kunst Kinderaugen zum Glänzen zu bringen. Und dafür bin ich ihr sehr dankbar. 

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