Hannah Brückner gewinnt die Serafina 2025

Der Serafina Nachwuchspreis für Illustration 2025 geht an Hannah Brückner für ihr Bilderbuch »Kolossale Katastrophe«. Der Preis wird seit 2014 jährlich von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Kooperation mit dem Börsenblatt und der Frankfurter Buchmesse vergeben. Ziel ist es, junge Illustrations-Talente sichtbar zu machen. Wir freuen uns, die Laudatio von Jury-Vorsitz Stefan Hauck hier zu teilen.

Wir haben fünf großartige Bilderbücher aus Verlagen in Deutschland, Österreich und der Schweiz: plakativ aufeinanderprallende Gegensätze, Erzähllandschaften aus Collagen, Aquarelle mit Farbstiftakzenten, auf Konturen reduzierte Zeichnungen und buntstiftraue Bildtableaus. Sie sind die besten eines Jahrgangs. Sie aus einer Masse von Bilderbüchern sorgfältig herauszufiltern, ist für die Jury ein Akt, der von vielen Argumenten begleitet ist. Umso intensiver dann noch einmal der nächste Schritt. Herausragend sind sie alle. Und doch gibt es jedes Jahr nur eine Serafina. Die des Jahres 2025 geht an Hannah Brückner und Kolossale Katastrophe.

»Es heißt ja, richtig große Katastrophen passieren völlig unerwartet. Und leider ist es wirklich genauso.« Das sind die ersten beiden Sätze eines in sich stringent durchkomponierten Bilderbuchs, das das Thema Scheitern thematisiert. Unter der Dusche entstehen bekanntlich die besten Ideen, und an diesem Ort blitzte auch bei Hannah Brückner der Gedanke auf, dass Kindern ja öfter mal etwas kaputt geht. »Aber vielleicht könnte daraus ein guter Schabernack entstehen?«, führt sie in einem Interview aus, »und was wäre in einem Museum, in dem ja alles verboten ist anzufassen, der maximale Effekt?«

Zu Beginn sehen wir, wie Juri sich auf den Museumsbesuch freut. Zielsicher tapst er auf die hellerleuchtete Eingangspforte zu. Die Ruhe vor dem Sturm. Mantel an der Garderobe abgeben, oben flattert ein kleiner Wellensittich, hinein in die große Halle; übermütig balanciert Juri dann auf der Absperrung eines Podests mit zwei großen und einem kleinen Dinoskelett. Es verspricht ein schöner Museumsabend zu werden.

In einer weiten Aufnahme zeigt die Kamera einen gigantisch großen Raum mit riesigen Skeletten, ein Brachiosaurus soll es sein, durchschnittlich 23 Meter lang und 13 Meter hoch, und davor ein sehr kleiner Juri. Den Flug des hellblauen Wellensittichs kann die Betrachterin anhand der comicartigen Luftlinien nachvollziehen, bis er dann hoch in die nächtliche Bläue der Kuppel entschwindet und wie bei einer Ätzradierung als Negativ erscheint.

Schon auf der nächsten Seite nähert sich der freundlich ausschauende Sittich in einer herangezoomten Totalen auf Juri, der die Augen aufreißt und in seiner panischen Angst vor flatternden Vögeln das Gleichgewicht verliert. Noch kombiniert die Betrachterin den stürzenden Juri mit den fragilen Knochen hinter ihm und schon, richtig, sehen wir auf der nächsten Seite nur noch einzelne, herabfallende Knochen. Brückner setzt auf unser Kopfkino, und zeigt die aufgerissenen Münder großer und kleiner Museumsbesucher: Schauen alle Juri als Verursacher der Katastrophe an oder sehen sie lediglich die Katastrophe? Wir haben das Desaster längst vor Augen, bevor Brückner den traurigen Haufen von Knochen zeigt, die vor wenigen Sekunden noch die Skelette mächtiger Dinos waren. Ein großer Berg und ein kleiner schluchzender Juri davor. Wie ginge es uns in dieser peinlichen Situation?

Hier schaltet sich Brückner las Dea ex machina in die Geschichte ein mit einem Ratschlag für hyperventilierende Kinder: »Aber dann atmest Du zweihunderdreiundachtzig Mal ruhig ein und wieder aus«, während sie lösungsorientiert auf der rechten Bildseite schon alle Knochen wie in einer Schublade feinsäuberlich aufgereiht präsentiert. Und kommt noch mit einem weiteren Tipp: »Wenn du aus einem üblen Schlamassel herauskommen willst, kannst du immer um Hilfe bitten. Die anderen wissen vielleicht auch nicht genau, was zu tun ist, aber zusammen fühlt es sich besser an, so ratlos zu sein.«

Konträr zum Text ist die Erzählung in den Bildern bereits viel weiter: Hier sind schon die anderen Museumsbesucherinnen dabei, einzelne Knochen zu begutachten und mit anderen passenden Knochen zusammenzufügen. Mit Leitern und Gerüsten wird hier eine Nacht lang gewerkelt, bis man auf die gespannten Gesichter der Helferinnen sieht. Brückner nutzt die Technik des Altarfalz und lässt uns das Ergebnis aufklappen: Aus zwei Dinos ist ein fantasievoller, mächtiger Dino geworden, der sogar noch fliegen kann.

Brückner erzählt temporeich, stringent, schweift nicht ab, steuert aber doch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gezielt die Spannung der Geschichte.

Ab 2009 hat die in Berlin geborene Künstlerin an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften bei Prof. Bernd Mölck-Tassel Illustration studiert. Schon früh hat sie freiberuflich gearbeitet für Zeitungen und Magazine, von 2013 bis 2018 für Westermann Schulbücher illustriert. 2017 wollte die Künstlerin den Sprung zum ersten Buch wagen und hatte für die Jugendbuchmesse in Bologna vier Termine bei Verlagen ausgemacht. Jacoby & Stuart zeigte sich begeistert von ihrem Schwarzweiß-Storyboard und lud sie nach Berlin ins Verlagshaus ein – »aber da muss noch Farbe dazukommen«, wurde ihr beschieden.

2018 erschien Mein fantastisches Baumhaus, in dem sie zeigt, was Phantasie vermag: Ein kleiner Junge lässt in seinen Gedanken das triste Treppenhaus zu einem lebendigen Baumhaus werden. Form follows function, und so hat Brückner ihre Geschichte konsequent auf ein 2,60 Meter langes Leporello gestaltet. Das Debüt wurde 2019 für die Serafina nominiert, fünf Jahre später ihr nächstes Bilderbuch Ich wäre gern ein Baum von Andrea Hensgen (Peter Hammer): »Wie die Illustratorin die Ängste vor einem Umzug und die Sehnsucht nach Dableiben in Bilder umsetzt, wie sie wenigen Konturstrichen Szenen fürs Kopfkino schafft: meisterhaft!«, urteilte die Jury damals.

Und jetzt also das Thema des Scheiterns, das sie mit wenigen Strichen aufs Papier bringt. Alles ist schon in der Kontur angelegt, die hohe Beherrschung der Linie und der grafischen Form erinnert an Tom Ungerer, die leichte Akzentuierung durch meist gedeckte, pastellige Farben an Sempé, und doch ist sie komplett eigenständig und originell. Eine Gemeinsamkeit fällt mir doch noch auf: So wie Sempé ausschließlich mit der Tuschefeder Atome 423 zeichnete, hat sich Brückner auf einen Rotring Isographen mit 0,13 mm breitem Strich eingeschossen, und leider werden beide Geräte nicht mehr produziert…

In Kolossale Katastrophe erzählt Brückner temporeich, stringent, schweift nicht ab, steuert aber doch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gezielt die Spannung der Geschichte. In der Eröffnung herrscht noch eine große Ruhe, ein Panoramablick zeigt uns Ort und Menschen, die Brückner sehr individuell skizziert. Interessant übrigens, dass Rezensenten in Juris Begleitperson mal eine Mutter, mal einen Vater entdecken, vielleicht sogar von der Illustratorin gewollt, denn es spielt für den Verlauf der Geschichte überhaupt keine Rolle, es ist eine marginale Figur. Nicht sie, die Erzählerin gibt den entscheidenden Ratschlag.

Mit dem in Zeitlupe festgehaltenen Sturz, dem Krachen, Fallen der Knochen und den erstarrten Besucherinnen dehnt sie die Zeit, dem ratlos dasitzenden Junge erscheint das hilflose Warten nach dem Missgeschick grausam endlos. Mit dem Ordnen der Gedanken nimmt die Illustratorin wieder Fahrt auf und schon kommt ordentlich Bewegung in die panelartigen Bildsequenzen, in denen alle fleißig am Basteln sind.

Als wäre nichts gewesen, so erscheint uns die Schlussszene: Die hilfsbereiten Besucherinnen kommen im Morgengrauen mit zufriedenen Mienen aus dem Museum, als wäre so eine nächtliche Bastelaktion das natürlichste auf der Welt.

Also tief durchatmen, nachdenken und andere um Mithilfe bitten – wenn das keine Botschaft in diesen Zeiten ist!

Herzlichen Glückwunsch, Hannah Brückner!

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